Beschluss der Fraktion vom 16. Juni 2015

Positionspapier Tierschutz

Für einen nachhaltigen Wandel

Die SPD-Bundestagsfraktion ist treibende Kraft für mehr Tierschutz. Wir machen uns für die Tiere stark. Unter unserer Regierungsverantwortung hat der Tierschutz Ver-fassungsrang bekommen. Wir haben den Tierschutz als Staatsziel in Artikel 20a des Grundgesetzes verankert.

In den vergangenen Jahren hat sich ein gesellschaftlicher Diskurs für mehr Tier-schutz in allen Bereichen der Tierhaltung entwickelt. Vor allem zu den ethischen As-pekten Würde und Wohlergehen der Tiere ist eine dynamische gesellschaftliche Dis-kussion in Gang gekommen. Die Haltung und die Pflege von Tieren, aber auch der Konsum von tierischen Produkten sind zentrale Themen in der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung.

Immer mehr Menschen lehnen intensive Haltungsformen in der Landwirtschaft aus Tierschutzgründen grundsätzlich ab. Denn oftmals werden die arteigenen Bedürfnis-se der Tiere ignoriert. Tiergerechte Haltungsbedingungen sind nicht ausreichend umgesetzt:

Die Manipulation von landwirtschaftlichen Nutztieren ist (leider) eher die Regel als Ausnahme. Ferkel werden die Schwänze ohne Betäubung kupiert, Hühnern werden die Schnäbel gekürzt und trotz praxiserprobter Alternativmethoden werden Tiere betäubungslos kastriert. Bei Tiertransporten sind die Transportbedingungen häufig ungenügend und die Transportzeiten sind zu lang. Der Einsatz von Medikamenten insbesondere von Antibiotika ist die Folge zu hoher Tierdichten. Das ist für uns nicht akzeptabel.

Tierschutz hat heute eine Bedeutung, die weit über den eigentlichen Schutz vor Schmerzen der uns anvertrauten Tiere hinausgeht. Insbesondere die Verbesserung des Tierschutzes in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung bildet eine wichtige Grundlage für unser Ziel einer nachhaltigen, umwelt- und ressourcenschonenden Landwirtschaft.

Wir stehen zum Leitbild einer dem Standort angepassten, regional verankerten, flä-chendeckenden Landwirtschaft unterschiedlicher Strukturen und Produktionsausrich-tungen. Die landwirtschaftlichen Betriebe sehen sich einem stetigen gesellschaftli-chen Wandel konfrontiert. Unser Ziel ist es, dass die Landwirtschaft der örtlichen Entwicklung, gut bezahlter Arbeit und einem sicheren Einkommen in den ländlichen Räumen beiträgt. Damit erhalten wir den Naturreichtum und die Artenvielfalt unserer Heimat. Wir wollen den Erhalt typischer Agrarlandschaften fördern. Das bedeutet auch, dass wir eine an die Fläche angepassten Tierbestand wollen.

Ein Beispiel hierfür ist die Förderung der Weidehaltung von Tieren. Sie hat entschei-SEITE 2

dende Vorteile in Bezug auf den Tierschutz und die Tiergesundheit. Zugleich ermög-licht sie den Erhalt typischer Agrarlandschaften. Die damit verbundenen positiven Auswirkungen, u.a. auf den regionalen Tourismus, können wiederum zur Steigerung der Wertschöpfung in den ländlichen Gebieten beitragen.

Mit unseren Forderungen stehen wir Schulter an Schulter mit den Landwirten, die das Wohlergehen ihrer Tiere nicht dem wirtschaftlichen Druck opfern wollen.

Wir wollen den Verbraucherinnen und Verbrauchern garantieren, tierische Produkte aus konventioneller und biologischer Produktion ohne schlechtes Gewissen konsu-mieren zu können. Wir wollen eine klare und verlässliche Kennzeichnung für Produk-te aus artgerechter Tierhaltung, damit Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Wunsch nach mehr Tierschutz in Kaufentscheidungen umsetzen und den Markt mit-gestalten können. Deswegen unterstützen wir das Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes. Wir wollen darüber hinaus dafür werben, dass die Landwirte ei-nen ordentlichen Preis für ihre Produkte erhalten, um tierschutz- und umweltgerecht zu produzieren. Tiere sind keine Wegwerfware. Weder dürfen männliche Küken noch männliche Kälber systematisch getötet werden, weil deren Aufzucht nicht lohnt.

Das jüngste Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" hat gezeigt, dass die politischen Forderungen zum Wohl der Tiere der SPD konkret umsetzbar sind.

Für mehr Tierschutz

Wir wollen echte Fortschritte für die Lebensbedingungen von Heim- und Nutztieren. Ziel ist es, die Lebensbedingungen aller Tiere, insbesondere der landwirtschaftlichen Nutztiere, deutlich zu verbessern. Das bedeutet, dass die Haltungsbedingungen den Tieren angepasst werden müssen und nicht umgekehrt. Wir werden konkrete Maß-nahmen einleiten, die die Haltungsbedingungen der landwirtschaftlichen Nutztiere nachhaltig verbessern.

Wir wollen sicherstellen, dass alle Nutztiere tiergerecht gehalten werden. Daher werden wir ein Prüf- und Zulassungsverfahren für serienmäßig hergestellte Stall-haltungssysteme einführen. Wir werden mit den Legehennen starten, aber auch an-dere Tierarten müssen zeitnah folgen, einschließlich der Heimtiere.

Alle Tiere sollen zukünftig Zugang zu unterschiedlichen Klimazonen erhalten und die verschiedenen Stallbereiche müssen mit unterschiedlichen Bodenbelägen eingerichtet werden. Es muss Angebote für artgerechte Beschäftigungen in den Ställen geben und die Tiere müssen genügend Platz haben.

Wir wollen einen Sachkundenachweis für Personen und Betriebe einführen, die landwirtschaftliche Nutztiere halten. Unser Ziel ist es, die Sachkunde in der Land-wirtschaft weiter zu verbessern. Ebenso fordern wir einen Sachkundenachweis zum Halten von Exoten. Gute Ausbildung und Sachkunde kommen unmittelbar den Tie-ren und somit dem Tierschutz zu Gute.

Wir wollen die nicht-kurativen Eingriffe an Tieren abschaffen. Ziel ist es, das kei-SEITE 3

nem Tier Körperteile kupiert oder verstümmelt werden dürfen. Denn die Haltungsein-richtungen und das Management müssen sich den Bedürfnissen der Tiere anpassen – nicht umgekehrt. In vielen Fällen gibt es inzwischen erprobte Alternativen, die jetzt schnell umgesetzt werden müssen.

Die SPD will eine flächengebundene Tierhaltung. Vor dem Hintergrund der stei-genden Umweltbelastung in den viehdichten Regionen und der insgesamt zweifel-haften Umsetzung einer artgerechten Tierhaltung haben Tierhaltungsanlagen in ei-ner Dimension von teilweise mehreren Zehntausend Plätzen keine gesellschaftliche Legitimation. Sie sind weder unter epidemiologischen Gesichtspunkten wünschens-wert noch ist die Problematik der Gülleverwertung gelöst. Hier wollen wir Grenzen setzen.

Die EU-Agrarpolitik muss in Zukunft und für die Zeit nach 2020 umfassend umge-staltet werden. Ziel der Reform der EU-Agrarpolitik muss sein, dass sie Förderimp-ulse und Innovationsanreize für mehr Tierschutz setzt. Eine neue Architektur der Politik für Landwirtschaft und ländliche Räume muss entwickelt werden. Notwendig ist ein einfaches und klares System der echten Entlohnung von Leistungen, vor al-lem in den Bereichen Klimaschutz, Erhaltung der biologischen Vielfalt, der Boden-fruchtbarkeit sowie des Umwelt- und Tierschutzes. Wir fordern eine grundlegende Umschichtung der Mittel aus der ersten in die zweite Säule der EU-Agrarpolitik. Mit den zusätzlichen Mitteln wollen wir auch Tierschutzmaßnahmen in Deutschland fi-nanzieren.

Der Arzneimitteleinsatz in der Tierhaltung muss aufgrund der Antibiotika-Resistenzproblematik weiter verringert werden. Das Arzneimittelgesetz muss jetzt konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden.

Wir wollen die Ausrichtung der Tierzucht verändern. Es darf nicht mehr die wirt-schaftliche Optimierung der landwirtschaftlichen Nutztierrassen im Vordergrund ste-hen. Den Tieren muss ihre natürliche robuste Natur zurückgegeben werden. Heutige Nutztierrassen sind teilweise nicht mehr für ihre ursprüngliche Haltungsform im Freien geeignet wie zum Beispiel Geflügel. Eine Zuchtausrichtung auf ein einseitiges Nutzungsziel wie maximale Fleisch-, Milch- oder Eierproduktion ist nicht akzeptabel.

Keine Qualzuchten – weder bei Nutztieren noch bei Heimtieren. Mit äußerlichen Veränderungen einer Rasse gehen zumeist Verhaltensänderungen aber auch orga-nische Veränderungen einher, die den Tieren ein Leben lang Schmerzen und Leiden verursachen. Das ist mit dem Grundsatz, der in § 1 des Tierschutzgesetzes veran-kert ist, nicht vereinbar.

Die Bedingungen bei Transporten bis hin zur Schlachtung müssen grundsätzlich verbessert werden und den Ansprüchen der Tiergerechtigkeit genügen. Die maxima-le Dauer der Tiertransporte im Inland, mit Ausnahme von Fischtransporten, ist auf vier Stunden zu begrenzen. Wir wollen eine weitergehende Reform der EU-Tiertransport-Verordnung. Diese soll grundlegende Änderungen der Transportzeiten, der Ladedichte, der Temperaturregelungen und der Kontrollwege beinhalten.

Verbraucher wollen wissen, was sie kaufen. Sie wollen wissen, wie das Fleisch, das SEITE 4

sie essen, produziert wurde. Wir wollen ein verbindliches Tierschutzlabel. Die Kenn-zeichnung von Lebensmitteln aus tiergerechter Haltung sowie bei Bekleidung für „nicht-textile Teile tierischen Ursprungs" (z.B. Pelz, Leder, Daunen) müssen einheit-lich, transparent, einfach und verbraucherfreundlich sein. Nur so können Verbrau-cherinnen und Verbraucher ihr Bedürfnis nach mehr Tierschutz auch im Kaufverhal-ten umsetzen. Dies muss auf Bundesebene mit einer Informationskampagne für Verbraucher unterlegt werden.

Wir wollen mit einem Verbandsklagerecht auf Bundesebene den Tierschutzor-ganisationen die rechtliche Handhabe geben, wirkungsvoller gegen Tierschutzver-stöße vorgehen zu können.

Wir wollen die Tierheime unterstützen und klare, bundesweit einheitliche Regelun-gen für die Erstattung der Kosten für Fundtiere schaffen.

Die SPD-Bundestagsfraktion ist für die Einführung einer Positivliste für Tiere, die in Deutschland legal gehalten werden dürfen (Heim und Wild). Solche Listen gibt es bereits in mehreren EU-Staaten (Belgien/Niederlande).

Der internationale Wildtierhandel muss stärker an nachhaltigem Artenschutz sowie am Tierschutz ausgerichtet werden. Unter anderem wollen wir verschärfte Prüfvor-schriften für Importe in die EU und nach Deutschland, den Verkauf von Wildtieren auf gewerblichen Börsen verbieten, den Internethandel reglementieren und allge-mein die Haltungsbedingungen für Wildtiere verbessern.

Die besonders hohen Ansprüche an die Haltung von Wildtieren gelten nicht nur in Privathand, sondern auch für Zirkustiere. In der Gesellschaft ist die Einsicht ge-wachsen, dass eine artgerechte Haltung von Wildtieren in Zirkussen nicht möglich ist. Daher wollen wir ein Verbot für das Halten bestimmter wild lebender Tiere im Zirkus. Dieses soll für u. a. Affen (nicht menschliche Primaten), Elefanten, Großbä-ren, Giraffen, Nashörner, Großkatzen und Flusspferde gelten.

Auch Tierversuche müssen weiter reduziert werden. Und zwar immer dort, wo es wissenschaftlich geprüfte Alternativmethoden gibt, um wissenschaftliche Fragen zu klären oder die Gefährlichkeit von Stoffen für den Menschen zu bewerten. In der Praxis hat sich vor allem das sogenannte 3-R-Konzept (Replacement, Reduction, Refinement; zu Deutsch: Vermeiden, Verringern, Verbessern) etabliert. Dies wird auch künftig durch adäquate Förderung garantiert werden müssen. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht nach wie vor großen Handlungs- und Forschungsbedarf für die Entwicklung von Alternativmethoden.

Um in möglichst vielen Bereichen substanzielle Verbesserungen beim Tierschutz zu erreichen, braucht es vor allem eine breit aufgestellte Forschungslandschaft. Die SPD-Bundestagsfraktion spricht sich dafür aus, die Forschungsaktivitäten im Rah-men eines Forschungs- und Innovationsprogramm Tierschutz auszubauen. Darüber hinaus sollen die bundes-, europa- und weltweiten Forschungsbemühungen gebün-delt und effizient für unser Land genutzt werden. Wir setzen uns für ein Bundespro-gramm Tierschutz ein, das alle Tierschutzaktivitäten auf Bundesebene bündelt, koordiniert und transparent macht. SEITE 5

Wir setzen uns dafür ein, dass auf EU-Ebene eine Tierschutzombudsfrau bezie-hungsweise ein Tierschutzombudsmann eingeführt wird.

Eine zukunftsfähige Tierschutzpolitik

Tierschutz ist ein unverzichtbarer Bestandteil verantwortungsvoller Ernährungs-, Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik. Der pflegliche Umgang mit Tieren ist für uns eine ethische Verpflichtung. Unser Ziel ist eine artgerechte Tierhaltung, die Schmerz- und Stressrisiken für die Tiere ausschließt.

Mit unseren Forderungen für mehr Tierschutz werden wir die Tierhaltung für die Zu-kunft fit machen und dadurch das Verbrauchervertrauen und die gesellschaftliche Akzeptanz nachhaltig verbessern.